Mein aktueller Blog

Verfassen und Überarbeiten eines eigenen Textes

 

 

27. März 2016

 

Heute ist Ostersonntag, bestimmt eine gute Zeit, etwas Neues zu beginnen. Schließlich sind Ostereier ja Symbole für Neuanfang, Fruchtbarkeit, Frühling.

In den vorherigen Jahren habe ich im Frühling gern ein neues Manuskript begonnen. Aber es liegen noch zwei fertige Manuskripte auf meiner  Festplatte, für die ich bisher keinen Verlag gefunden habe. Es widerstrebt mir auf die Dauer, für den Computer zu schreiben anstatt für Leser(innen).

Also, blogge ich mal so vor mich hin, über das Schreiben, Überarbeiten usw..   Mein Projekt ist, eine richtig schlechte Geschichte zu schreiben und die durch Überarbeiten zu verbessern.

Ich freue mich darauf, eine Geschichte zu verfassen, die vor handwerklichen Fehlern nur so strotzt. Gespannt bin ich, ob sie durch Überarbeiten dann zu retten ist.

Drückt mir die Daumen!

 

28. März 2016

 

Hier also die schlechte Geschichte:

 

Titel noch unbekannt

 

Es war Ostern. Marlies ging um 10.30 Uhr mit ihren Walking-Stöcken auf dem Deich in Richtung des Anlegers in Twielenfleth. Dann aber musste sie pinkeln und lief zurück nach Hause.

Nachdem sie auf dem Klo gewesen war, fuhr sie mit  dem Auto zur Elbe. Auf  dem Parkplatz stellte sie es ab. Es wehte ein starker kalter Wind.

Sie kam an einem einzelnen Fahrradfahrer vorbei, dessen Fahrradkette abgegangen war. Er zog Handschuhe an für die Reparatur.

Marlies bestellte einen Kaffee. Es war eng an der Selbstbedienungstheke, irgend jemand war immer im Weg, sie auch manchmal.  Marlies bekam ein kleines Schokoladenlämmchen gratis. Das aß sie, weil Ostern war.

Nun wurde es schwierig. Sie musste den Kaffee auf dem Boden abstellen, bevor sie mit zwei Händen ein Kissen auf die Sitzbank legte, damit es nicht wegflog.

Es waren nur zwei Segelboote auf der Elbe, eines hatte große Probleme, das Segel knatterte laut. Marlies sah, dass es nun die Richtung wechselte, sicherlich hatten die Skipper es aufgegeben, zur Nordsee zu fahren.

   Auf der Bank neben Marlies saß ein Ehepaar um die Vierzig, der Mann sah sehr schlecht gelaunt aus, vielleicht wegen des Wetters. Für den jüngeren der zwei Söhne, die jeder ein Würstchen mit Senf aßen, war kein Platz mehr auf der Bank. Zu Marlies wollte er sich nicht setzen. Er äußerte die Sorge, dass der Wind den Senf wegwehen würde. Marlies war ein wenig traurig, weil niemand neben ihr sitzen wollte. Als die Familie aufbrach, sagte der jüngere Sohn: "Das hat gut getan." Marlies wunderte sich darüber, dass ein ungefähr 12-jähriger Junge sich so ausdrückte.

 

Oh je, es war schwieriger als gedacht, den Text nicht sofort zu überarbeiten. Ich habe ein paar Kleinigkeiten geändert. Aber  der  Text ist immer  noch schlecht genug, hoffe ich. Wie es wohl weitergeht?

 

31. März 2016

Marlies fuhr mit dem Auto zum Einkaufen in die Stadt. Dort fiel ihr auf, dass die Uhr in ihrem Auto noch die Uhrzeit vor der Zeitumstellung anzeigte. Sie drückte auf ein paar Knöpfe, und schließlich kam dabei das Datum 25. April 2025 heraus Die Uhrzeit stimmte auch nicht, wie ein Vergleich mit ihrer Armbanduhr zeigte. Marlies nahm sich vor, nicht allzu häufig hinzusehen. 

In Stade wollte sie bunte Ostereier kaufen, die sie im nächsten Jahr draußen aufhängen würde. Aber die, die sie gern gehabt hätte, waren ausverkauft. Marlies war nicht sehr enttäuscht.

Zweimal machte sie automatisch auf dem Fußweg Platz, als ein junger arabisch sprechender Mann an ihr vorbeigehen wollte. Als es ihr auffiel, nahm sie sich vor, das nächste Mal einfach stehenzubleiben. Er konnte ja gut um sie herumgehen. Leider kam dann keine derartige Situation mehr.  Aber sie würde in Zukunft wachsam sein. Vor Jahren war Marlies einmal auf einem Trödel-Markt in Hamburg stehengeblieben, als ein Mann dort gehen wollte, wo sie stand. Das hatte Spaß gemacht.

 

Oh je! Das wird doch nichts! Wo soll das hinführen? Und dann hat sich auch noch mein schönes künstlerisches Foto mit den Ostereiern selbst gelöscht! Vielleicht  wäre das ein Titel "Das wird doch nichts!", Untertitel: Eine schlechte Geschichte. ?  Nein! Noch nicht mal das!

 

 

3. April 2016

 

Marlies fuhr mit dem Auto zum Friedhof. Im Kofferraum transportierte sie vier 25 kg Säcke Granitsplitt rötlich.

Auf dem Grab ihrer Eltern sägte und schnitt sie den kleinen Baum, der sich dort von selbst entwickelt hatte, und den Busch zurecht. Sie entfernte auch das Unkraut, das sich bereit machte, alles zu überwuchern.

Dann fuhr sie das Auto zum Grab und verteilte den Granitsplitt rötlich nach und nach auf  der Erde. Nach einiger Zeit kam ein Mann, der ihr mitteilte, dass sie dort nicht hätte mit dem Auto hätte hinfahren dürfen. Marlies berichtete, dass kein entsprechendes Verbotsschild am Eingang sei. Sie dürfe es aber trotzdem nicht, weil es so in der Friedhofsordnung stehe. Das mit den Steinen sei auch keine gute Idee, da sie schwierig wieder zu  entfernen seien, wenn man das Grab auflöste.

Marlies fragte: "Haben Sie sich heute morgen beim Aufwachen vorgenommen, einen Menschen unglücklich zu machen? Das hat mit mir jedenfalls geklappt." Der Mann ging.

Es konnte allerdings sein, dass er lieber einen Menschen glücklich gemacht hätte, fiel Marlies ein. Aber er wusste wohl nicht, wie.

Das Grab sah nun sehr schön aus. Allerdings befand sich eine Vertiefung in der Mitte, die wohl daher rührte, dass ein Sarg eingestürzt war. Marlies wurde klar, dass sie dort Erde hinschütten musste. Vorher waren dann wohl die Steine in der Versenkung erst einmal zu entfernen.

Die Arbeit war noch nicht zu Ende.

 

 

10. April 2016

 

Eine Schlagzeile im Wochenblatt lautet: "Seeadler-Mord" ist aufgeklärt. Das könnte eine Lösung für meine schlechte Geschichte sein: ein Seeadler-Mord als zentrales Thema, bei dem alle Fäden zusammenlaufen. (Denke: Daraus kann doch nichts werden) . Na ja, mal sehen.

 

Marlies traf einen Mann, der beschuldigt wurde, einen Seeadler mit Absicht erschossen zu haben. Er berichtete, dass er nun mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden konnte, wegen Tötung eines streng geschützten Tieres .

"Oh je", sagte Marlies. "Warum haben Sie ihn denn eigentlich umgebracht?"

     "Er hat mich gestört, weil durch ihn die wirtschaftliche Nutzung meines Grund und Bodens eingeschränkt war."

"Ach!"

 

Hätte ich doch nicht einfach so drauflos geschrieben! Was soll ich nun bloß machen mit den Handlungssplittern? Ob ich noch mal von vorn anfange?

 

Gerade habe ich noch mal die Anfänge der schlechten Geschichte gelesen, mir fielen dabei ein paar Handlungslinien ein, die ich verwenden könnte. Die Hoffnung steigt wieder. Allerdings  muss ich nun den Text vom 10. April  umschreiben:

 

Es war Sonntag. Marlies hatte inzwischen die richtige Uhrzeit und das richtige Datum eingestellt in ihrem Auto. Sie war froh, dass die neun Jahre bis 2025 nicht schon hinter ihr, sondern noch vor ihr lagen. 

Vom Parkplatz aus ging sie zum Anleger in Twielenfleth. Ein Mann reparierte sein Fahrrad am Rande des Weges. Marlies sprach ihn an:

"Sind Sie hier nicht auch Ostern schon mit ihrem Fahrrad liegen geblieben?"

"Ja. Wieder an derselben Stelle."

"Komisch."

"Auf jeden Fall!"

Marlies hätte ihm gern erzählt, dass das Grab ihrer Eltern eingestürzt war und sie daher den Granatsplitt rötlich an der Stelle wieder entfernen musste, um Erde in die Wölbung zu schütten. Doch sie dachte, das würde den Fahrradfahrer nicht interessieren, darum schwieg sie.

Auf dem Anleger fand Marlies ihr Manöver des Kaffeetrinkens ein wenig geschickter als Ostern. Sie machte Fortschritte, fand sie. 

Marlies dachte an einen Seeadler-Mord, von dem sie in der Zeitung gelesen hatte. Gern hätte sie den vermeintlichen Täter gefragt, warum er durch die Tötung eines streng geschützten Tieres eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren riskiert hatte. Sie stellte sich vor, er würde antworten, durch den Seeadler sei die wirtschaftliche Nutzung seines Grundstücks stark eingeschränkt gewesen.

 

Das macht mich auch irgendwie nicht zufrieden. Immerhin gibt es ein paar positive Entwicklungen. Bloß wo ist die tragende Mitte der Geschichte?

 

 

 19. April 2016

 

Also, ich glaube, ich schreite nun mal zur Tat und überarbeite diese konfuse Geschichte, die weder ein Thema hat noch einen Sinn.

Erstmal schauen, was es an Inhalt und Personen gibt:

 

Ostern, Marlies (Hauptfigur) macht einen Spaziergang zum Anleger, (wo kein Schiff mehr anlegt), Kaffee, viel Wind, ein Segelboot gerät fast in Seenot, ein Fahrradfahrer hat eine Panne, eine Familie auf  dem Anleger, Zeitumstellung im Auto, M. will Ostereier kaufen für nächstes Jahr (vergeblich), M. macht auf dem Fußweg automatisch Platz für Männer, (obwohl die auch um sie herum gehen könnten), auf dem Friedhof am Grab von M.s Eltern, Granitsplitt rötlich, Menschen unglücklich machen? Vertiefung, Tötung eines Seeadlers, derselbe Fahrradfahrer hat wieder eine Panne

 

Nun sehe ich schon die Motive: Abschied und Neubeginn, Neugestaltung des Elterngrabs, Verzögerung (Panne), Tötung von etwas, das leben sollte

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hier also die (vorläufig) überarbeitete schlechte Geschichte:

 

Granitsplitt rötlich

 

Es war Ostern. Marlies ging mit ihren Walking-Stöcken auf dem Deich in Richtung des Anlegers in Twielenfleth. Dort legten keine Schiffe mehr an,  doch nun gab es ein kleines Café. 

Der starke kalte Wind war unangenehm, aber immerhin regnete es nicht.

Fahradfahrer fuhren zu zweit oder in größeren Gruppen auf dem Wanderweg am Fuß des Deichs. Schon von weitem sah Marlies, dass ein einzelner Fahrradfahrer mit seinem Rad liegen geblieben war, es war wohl die Kette abgegangen. Er zog Handschuhe an, seine recht ungeschickten  Reparaturversuche blieben erfolglos.

Marlies ging hinunter zu ihm.

Er war ungefähr in ihrem Alter, Ende Vierzig.

"Guten Morgen und frohe Ostern!", sagte sie mit einem Lächeln, von dem sie hoffte, es würde ihn ein wenig trösten.

"Da muss wohl ein Fachmann ´ran", seufzte er.

"Andere haben auch Schwierigkeiten vorwärtszukommen", meinte Marlies und deutete auf ein Segelboot, das aussah, als sei es kurz vorm Kentern. Die losen Segel knatterten laut. "Kurz vor Seenot."

"Wie wäre es mit einem Kaffee auf dem Anleger?" fragte er.

"Gern, wenn ich meinen Kaffee selbst bezahlen darf."

"Na klar, und meinen auch!"

"Nö."

Marlies bestellte ihren Kaffee. Es war eng an der Selbstbedienungstheke, irgend jemand war immer im Weg, sie auch manchmal. Ein kleines Schokoladenlämmchen bekam man heute gratis. 

Nun wurde es schwierig. Sie musste im Wind den Kaffee auf dem Boden abstellen, bevor sie mit zwei Händen ein Kissen auf die Sitzbank legte. Das Kissen  drohte trotzdem wegzufliegen.

Das Segelboot mit den Problemen war nicht gekentert, es hatte nun die Richtung gewechselt, die Nordsee wäre heute unerreichbar für den Skipper.

"Ich heißte Johann", sagte Marlies´ Begleiter.

Auf der Bank neben ihnen saß ein Ehepaar um die Vierzig, der Mann sah sehr schlecht gelaunt aus, vielleicht wegen des Wetters. Für den jüngeren der zwei Söhne, die jeder ein Würstchen mit Senf aßen, war kein Platz mehr auf der Bank. Zu Marlies und Johann wollte er sich wohl nicht setzen. Der Junge äußerte die Sorge, dass der Wind den Senf wegwehen würde.        Marlies war ein wenig aufgeregt, weil jemand neben ihr saß. Normalerweise war sie allein auf dem Anleger.

"Ich finde es hier so schön, weil man direkt am Wasser sitzt, die Schiffe vorbeifahren sieht und..."

"Haben Sie mal eins kentern sehen?", unterbrach er.

"Nein. Daran liegt mir auch wirklich nichts." Sie sah ihn an. Er hatte dunkelblondes Haar, die blauen Augen waren ein wenig trüb.

Als die Familie aufbrach, sagte der jüngere Sohn: "Das hat gut getan." Marlies wunderte sich darüber, dass ein ungefähr 12-jähriger Junge sich so ausdrückte.

Am nächsten Tag fuhr Marlies mit dem Auto zum Einkaufen in die Stadt. Dort fiel ihr auf, dass die Uhr in ihrem Auto noch die Zeit vor der Zeitumstellung anzeigte. Sie drückte auf ein paar Knöpfe, und schließlich kam dabei das Datum 25. April 2025 heraus Die Uhrzeit stimmte auch nicht, wie ein Vergleich mit ihrer Armbanduhr zeigte. Marlies nahm sich vor, nicht allzu häufig hinzusehen. 

In der Stadt gab es Angebote für Ostereier, aber sie gefielen Marlies nicht.

    Zweimal machte sie automatisch auf dem Fußweg Platz, als ein junger arabisch aussehender Mann an ihr vorbeigehen wollte. Nun nahm sie sich vor, beim nächsten Mal einfach stehenzubleiben. Er könnte ja gut um sie herumgehen. Leider kam dann keine derartige Situation mehr.  Aber sie würde in Zukunft wachsam sein. Vor Jahren war Marlies einmal auf einem Trödel-Markt in Hamburg stehengeblieben und hatte damit einen Türken irritiert, der dort gehen wollte, wo sie stand. Sie lächelte bei der Erinnerung an seinen verdutzten Gesichtsausdruck . 

Ein paar Tage später fuhr Marlies mit dem Auto zum Friedhof. Im Kofferraum transportierte sie vier 25 kg Säcke Granitsplitt rötlich.

Auf dem Grab ihrer Eltern sägte und schnitt sie den kleinen Baum zurecht, der sich dort von selbst entwickelt hatte. Sie entfernte auch das Unkraut, das sich bereit machte, alles zu überwuchern.

Dann fuhr sie das Auto zum Grab und verteilte den Granitsplitt rötlich nach und nach auf  der Erde. Nach einiger Zeit kam ein Mann, der ihr mitteilte, dass sie dort nicht mit dem Auto hätte hinfahren dürfen. Marlies berichtete, dass kein entsprechendes Verbotsschild am Eingang sei. Sie dürfe es aber trotzdem nicht, weil es so in der Friedhofsordnung stehe. Das mit den Steinen sei auch keine gute Idee, da sie schwierig wieder zu  entfernen seien, wenn man das Grab auflöste.

Marlies fragte: "Haben Sie sich heute morgen beim Aufwachen vorgenommen, einen Menschen unglücklich zu machen? Das hat mit mir jedenfalls geklappt." Der Mann ging.

Es konnte allerdings sein, dass er lieber einen Menschen glücklich gemacht hätte, fiel Marlies ein. Aber er wusste wohl nicht, wie.

Das Grab sah nun sehr schön aus. Allerdings befand sich eine Vertiefung in der Mitte, die wohl daher rührte, dass ein Sarg eingestürzt war. Marlies wurde klar, dass sie dort Erde hinschütten musste. Vorher wären dann wohl an der Stelle die Steine erst einmal zu entfernen.

Die Arbeit war noch nicht zu Ende.

Marlies stellte die richtige Uhrzeit und das richtige Datum ein in ihrem Auto. Sie war froh, dass die neun Jahre bis 2025 nicht schon hinter ihr, sondern noch vor ihr lagen.

Dann fuhr sie zum Anleger.  

In der Nähe sah sie Johann, der sich am Rande des Weges über sein Fahrrad beugte.

"Hallo, Johann. Wieder der gleiche Schaden?", fragte Marlies.

"Nein, an einer anderen Stelle. Ich brauche wirklich ein neues Rad."

Marlies hätte ihm gern erzählt, dass das Grab ihrer Eltern eingestürzt war und sie daher den Granatsplitt rötlich an der Stelle wieder entfernen musste, um Erde in die Wölbung zu schütten. Doch sie wollte ihn nicht mit ihren Sorgen belasten, weil er so viele eigene hatte mit seinem Fahrrad. Sie schwieg.

"Ich kann mir keine neues leisten", seufzte er.

"Vielleicht ein gebrauchtes?", schlug Marlies vor.

"Wenn mir doch jemand ein neues schenken würde!"

"Wer könnte das sein?"

Er schwieg.

Auf dem Anleger fand Marlies ihr Manöver des Kaffeetrinkens ein wenig geschickter als am Ostersonntag. Sie machte Fortschritte, fand sie. Einige Windstärken weniger als an Ostern machten es ihr leichter.

Der weite Blick über die Elbe beruhigte sie, wie immer, rief in ihr die Überzeugung hervor, dass alles gut war und sein würde. Alles. Der Fluss würde weiter fließen, mal still und friedlich, seine zerstörerischen Kräfte gezügelt und beherrscht durch den Deich, mal floss er lebhaft und aufgeregt. Schon vielen Generationen vor ihr hatte der Fluss ihren Lebensunterhalt gegeben und in Sturmfluten wieder alles genommen. Manchmal lächelte er, war voller Licht, manchmal tobte er. Aber er war immer da.

"So in Gedanken?" Johann stand vor ihr mit einer Tasse in der Hand.

"Mein Vater hat ein Gedicht geschrieben über die Elbe. Darin gibt das Wasser ihm Antwort auf seine Fragen, es nickt oder plätschert Worte wie "Nein.""

"Oh. Eigentlich eine gute Idee, ich könnte die Elbe ja mal fragen, wie ich an ein neues Fahrrad komme."

"Leider war das Gedicht nicht in den Unterlagen, die er hinterlassen hat. Wahrscheinlich hat er es weggeworfen, in die Elbe möglicherweise."

"Vielleicht als Flaschenpost."

"Er ist seit zwanzig Jahren tot. Es wächst immer so viel Unkraut auf dem Grab, daher habe ich eine Schicht `Granitsplitt rötlich´ auf der Erde verteilt. Wenn die Pflanzen kein Sonnenlicht bekommen, wachsen sie ja nicht."

"Granitsplitt rötlich?"

"Das steht so auf der Packung. Nun ist der Sarg im Grab meines Vaters eingestürzt. Damals nach seinem Tod träumte ich mal von einem verstorbenen deutschen Kaiser in seinem Sarg. Dabei war mein Vater ein normaler Mensch gewesen. Zu Lebzeiten hat er manches Mal den Kaiser Nero zitiert: `Welch großer Künstler geht mit mir zugrunde.´ Doch  außer ein paar netten Gedichten und seinen Kriegserinnerungen hat mein Vater nichts geschrieben, und veröffentlicht sowieso nichts. Als ich ein Kind war, behauptete mein Vater, er könne Gitarre spielen, aber den Beweis blieb er schuldig. Was ist das für ein trauriges Leben: sich anzumaßen, was man nicht ist, und das, was man ist, gering zu  achten!"

"Ja. Um solch einen Menschen ist es echt schade."

"Nun ist er tot. Aber immer wieder treffe ich Menschen, die wie er die Wirklichkeit nicht sehen wollen. Einige Jahre lang hatte ich einen Briefwechsel mit einem jungen Mann über seine Pläne, ein Buch zu schreiben. Nie schrieb er tatsächlich auch nur eine einzige Seite eines Manuskripts, nur Briefe über sein Vorhaben. Er war wie mein Vater in eine Falle aus seinen eigenen Vorstellungen und Wünschen geraten. Für mich unverständlich, dass jemand seine Energie dafür verwendet, Fantasien über sich selbst zu nähren,  anstatt seine Lage wirklichkeitsnah zu sehen und seine Möglichkeiten zu nutzen."

"Und wie machst du selbst das?" 

"Ich bin realistisch."

"Ist das nicht oft langweilig?"

"Nein. Ich fühle mich wohl so."

Sie sah, dass die Segelboote an diesem Tag gut vorankamen, sie glitten wie schwerelos durch das Wasser.

"Ich habe einige Bücher über Verschwörungstheorien gelesen. Nur wenige Menschen wissen z.B., dass der Anschlag vom 11. September 2001 eine Verschwörung der amerikanischen Geheimdienste war", sagte er nach einer Weile.

Marlies stockte der Atem.

Seine Stimme klang abgehackt. "Die Geheimdienste sind überall, sie überwachen besonders interessante Objekte durch  Abhörwanzen. Ich z.B. werde rund um die Uhr durch Wanzen abgehört, die ich schon häufig gesucht, aber leider noch nicht gefunden habe. Wahrscheinlich befinden sich auch Wanzen in den Säcken von `Granitsplitt rötlich`, täuschend echt den Steinchen nachgebildet."

Marlies lachte. Sie wollte ihn im Scherz fragen, was denn an ihm so interessant war für die Geheimdienste. Doch als sie ihn ansah, bemerkte sie, dass er es ernst meinte.

"Der Beatle Paul McCartney soll tot sein, man hat ihn durch einen Doppelgänger ersetzt", flüsterte er.

Marlies sprang auf. "Schnickschnack! Ich gehe jetzt nach Hause."  

"Oh. Dann also auf Wiedersehen", sagte er kopfschüttelnd. "Ich bin enttäuscht von dir. Dir hätte ich zugetraut, dass du die Wahrheit erkennst, wenn du sie hörst."

"Ich traue mir allerdings zu,  die Wahrheit zu erkennen, wenn ich sie höre", sagte Marlies schnippisch. 

Sie nahm sich vor, ihren Kaffee von nun an auf dem Lühe-Anleger zu trinken. Dorthin war es zwar einige Kilometer weiter, aber den Weg würde sie gern in Kauf nehmen.

Über der Elbe hatte sich ein Nebelstreifen gebildet. Die Segelboote schienen auf dem Wasser zu schweben.

Zu Pfingsten blühten die Kirschbäume, schöner als je zuvor.